Mein erster Tag in den Alpen - Erfahrungsbericht von Jutta Bülter

 

Nach 6 Jahren Pause habe ich im Frühjahr 2008 beschlossen, wieder Motorrad zu fahren. Nach einer kleinen Verwirrung mit einem meiner Körpergröße nicht ganz angemessenem Motorrad und einer etwas holprigen ersten Saison, ging es dann im nächsten Jahr mit einem anderen Motorrad in die nächste Saison. Alles lief gut und so hieß es dann im Juni 2009:  auf in die französischen Alpen!!!

Gut, auch in meinem ersten „Motorrad-Leben“ habe ich es nicht in die Alpen geschafft - aber was soll das schon heißen?

Waren doch schon so viele da… So meine Gedanken im Vorfeld. Jörg hatte mir viel über die französischen Alpen erzählt: plötzlich auftretende, heftigste Gewitter, schlechte Infrastruktur, andere Straßenverhältnisse usw. All das hielt mich nicht ab und so saß ich dann morgens an meinem ersten Urlaubstag aufgeregt auf meinem Motorrad und freute mich auf die vielen französischen Alpenpässe, Ausblicke und die mich erwartenden leckeren regionalen Köstlichkeiten. Der Tag sollte erlebnisreich werden. Und er wurde es… 

Also, bei Sonne und schönstem blauen Himmel ging es los: Von unserer „Alm“ in Chorges (in den Hautes Alpes) vorbei am schönen Lac de Serre Poncon, über Embrun zum Col de la Bonette. Wow:  mit 2802m der höchste Punkt, den man in den gesamten Alpen auf asphaltierter und durchgehender Straße anfahren kann – und das war meiner erster Pass! Oben angekommen war ich stolz wie sonst wer und dachte, dass ich Großes geleistet habe. 

Gigantische Aussicht!

 

Immer noch bei blauem Himmel und schönstem Sonnenschein ging es weiter durch Täler und über weitere Berge. Doch kurz nach Mittag zogen einige Wolken auf. Aber das irritierte mich gar nicht und wenn es auch einen kleinen Schauer geben sollte: mir egal, denn es gibt ja nur schlechte Kleidung. Überrascht war ich daher auch als Jörg meinte, es wäre wohl besser mal anzuhalten und die Regenklamotten anzuziehen. Zu dem Zeitpunkt eine für mich übertriebene Aktion. Aber gut, ich wollte ja auch nicht gleich am ersten Tag Diskussionen herunter brechen… Also rechts ran und Regenklamotten an.

Nur noch Sekunden…

 

Und dann, ich hatte noch nicht einmal ganz meine Regenhose an, ging es auch schon los: der Himmel wurde schwarz und riss auf – leider nicht mit Sonnenschein, sondern mit einem Regenschauer, der es in sich  hatte. Wir haben dann etwas gewartet, aber da keine Besserung in Sicht und es eigentlich auch gar nicht sooo schlimm war, ging es weiter. Die Landschaft blieb schön und gigantisch und das, was ein heftiger Regenschauer war, entwickelte sich zu einem wahren Wolkenbruch, der dann nahtlos in ein heftiges Gewitter überging. Sollte Jörg mit seinen Geschichten doch Recht gehabt haben?

Ja, er hatte Recht und das was mich in den nächsten Stunden erwarten sollte, hätte ich mir in meinen kühnsten Gedanken nicht vorstellen können… Bei Roubion floss das Wasser in bestimmt 20cm hohen Bächen den Berg herunter. Leider nicht nur schönes klares Regenwasser, sondern reichhaltig angefüllt mit Schlamm, Sand und sonstigem Dreck. Die Straße unter dem Motorrad war nicht mehr zu sehen, aber unter dem ganzen glitschigen Zeugs blieb die Hoffnung, dass es noch einen festen Untergrund gibt. Ich hatte nur noch den Wunsch anzuhalten, mich unterzustellen und, dass das Alles schnell vorbei geht. Nur leider war es nicht drin mitten auf der Straße stehen zu bleiben und aufzugeben. Also weiter! Dann endlich an einer einsamen Straßenkreuzung: ein Wanderschild mit einem übergroßen Dach von ca. 15cm! Hätte nie gedacht, dass ich mal dankbar bin für solche opulenten Unterstellmöglichkeiten. Und tatsächlich nach einiger Zeit ließ der Regen etwas nach und nach einer Weile war sogar die Straße wieder zu erkennen.

 Also, weiter und nichts wie nach Hause. Sind ja nur noch 140km und vielleicht gibt es ja eine Abkürzung. So meine Gedanken. Aber nein, leider gibt es in den französischen Alpen keine Schnellstraße nach Hause… Es gibt nur den Col xy und dann über den Col sowieso und nach weiteren 18 Cols ist man dann auch wieder zu Hause. Es hilft also alles nichts und irgendwie muss man ja nach Hause.

Neben dem schon wieder dunkler werdenden Himmel gab es dann aber weitere Probleme: der Sprit neigte sich dem Ende und der Hunger entwickelte sich langsam zu einem ausgesprochenen Hungerast. Leider weit und breit keine Lösung für unsere Probleme in Sicht… Prima, dachte ich, ist ja echt toll in den Alpen… Gott sei Dank, hatte ich Müsliriegel im Gepäck. Mit dem Tanken war es dann etwas einfacher. In einem verlassenen Dorf gab es tatsächlich eine Tankstelle. Nachdem wir den Automaten mit der Kreditkarte gefüttert hatten, erhielten wir dann auch die ersehnte Flüssigkeit.

Froh darüber, wenigstens dieses Problem gelöst zu haben, riss auch schon wieder der Himmel auf und schüttete alles was er wohl gerade an Flüssigkeit übrig hatte auf uns nieder. Dieses Mal hatten wir aber glücklicherweise eine Unterstellmöglichkeit und Unterhaltung gab es dann auch. Ein gestrandeter polnischer Lkw-Fahrer erklärte uns in einer Mischung aus polnisch, französisch und deutsch, dass für den Rest des heutigen Tages mit keiner Besserung zu rechnen sei und wir mal besser nach einer Unterkunft Ausschau halten sollten.

Das war der Moment, in dem mein Kampfgeist erwachte:140km? Pah, nichts einfacher als das! Und so ging es dann weiter erst einmal bei halbwegs trockenem Wetter weiter. Vor dem Col Cayolle kamen wir dann noch in einen Stau. Nein, kein Verkehrsstau, sondern vielmehr ein Schaf-Stau. Die Bauern der Umgebung hatten sich wohl überlegt, dass heute ein guter Tag wäre um ihre Schafe auf eine andere Weide zu treiben. Nun gut, umzingelt von hunderten von Schafen wird man demütig und wartet geduldig ab, bis die lieben Tiere ihres Weges gezogen sind.

Das Ende ist noch nicht in Sicht!!!!

 

Nach ca. einer halben Stunde ging es dann weiter. Nicht lange und es regnete wieder. Aber nicht genug, es wurde auch noch nebelig! Den Col Cayolle habe ich dann im gefühlten Blindflug absolviert. Immerhin - meinen Vorderreifen konnte ich noch sehen.

 

Aufräumarbeiten am Col Cayolle - einen Tag später… Bei Sonne ist es einfach nur gigantisch!

Aber noch nicht genug: im Ubaye-Tal wurden wir dann von der Polizei rausgewunken. Es ging nicht mehr weiter, da der örtliche Fluss die Ufer mitgerissen und sich überlegt hatte, diese würden sich auf unserer Straße nach Hause unheimlich gut machen. Ich dachte: ok, nehmen wir halt einen Umweg. Aber auch hier wurde ich in die Realität zurück geholt: Es gab keinen Umweg, sondern nur diese eine Straße nach Hause.

Mit Räumfahrzeugen hatte es die französische Feuerwehr dann auch nach einer weiteren Stunde geschafft, die Straße wieder so weit zu räumen, dass wir weiter fahren konnten. Und siehe da, der Regen hatte auch aufgehört. Am Lac de Serre Poncon eröffnete Jörg mir dann, dass es jetzt auch eine Abkürzung geben würde. Nämlich nicht um den ganzen großen See herum, sondern einfach über einen kleinen Buckel. Juhu und das wo der Himmel gerade wieder dunkel wurde!

Die Abkürzung entpuppte sich dann als kleine Serpentinenstraße: Spitzkehre rechts, 20m geradeaus, Spitzkehre links, 20m geradeaus, Spitzkehre rechts, 20m geradeaus usw. Und das Ganze über ca. 10km und das bei einer Straßenbreite von 150cm… Aber auch das ging dann irgendwie vorbei und abends um 22 Uhr waren wir dann endlich wieder auf unserer „Alm“! Meine ersten Worte waren: schön ist es in den französischen Alpen!!!

Nach einer ordentlichen Portion Spaghetti, einer Flasche Wein und `nem Schnaps fing ich dann an zu realisieren, was an diesem Tag eigentlich alles passiert ist. Mein Fazit nach diesem Tag war: viel schlimmer kann es jetzt nicht mehr kommen! Was so alles passieren kann, muss mir auch niemand mehr erzählen: ich glaube es. Aber mit gestärktem Selbstbewusstsein wurden die nächsten Tage klasse, denn ich hatte ja die Gewissheit: irgendwie geht es schon weiter!

Ja und auch Motorradklamotten kann man trocknen!